Digitale Nomaden: Hobbyblogger in der Hängematte oder erfolgreiche Laptop-Unternehmer? (Gastartikel)

Sebastian Kühn in Tallin

Wenn der Finanzfisch eine Kreuzung aus Finanzhai und Goldfisch ist, dann sind digitale Nomaden wohl eine Mischung aus den nomadischen Kamelhirten und Webworkern. Viel wird in den Medien berichtet über diese neue Spezies, die Geld durch Mausklicks verdient und dabei immer lächelnd in der Hängematte liegt.

Sebastian Kühn, Citizen Circle

Mein Name ist Sebastian. Nachdem mein Lebenslauf mit Anstellungen im Einzelhandel, BWL-Studium und traditionellen Karriereabsichten in meinen Zwanzigern relativ geradlinig verlief, gab es 2012 einen Bruch. Nach abgeschlossenem Studium war ich nicht bereit, mich auf eine Karriere festzulegen. Ich musste weg, und das so weit wie möglich.

Meine Wohnung in Berlin gab ich auf und bin nach Schanghai gezogen. Ursprünglich war ein halbes Jahr geplant, aber du kennst das ja mit den Plänen. Weit weg von Zuhause, ohne die kritischen Stimmen, fiel mir der Sprung in die Selbständigkeit leichter.

Anfangs als Freelancer, ein Jahr später als Agenturinhaber, habe ich Übersetzungen angeboten. Sechs Jahre danach war ich immer noch in Asien. Meine Welt hat sich in dieser Zeit komplett verändert, so dass ich mir eine Festanstellung mit Büroalltag nicht mehr vorstellen kann.

Die Gattung der digitalen Nomaden

Aber nochmal langsam, was sind denn nun digitale Nomaden eigentlich? Die Wikipedia-Definition lautet in etwas so: Es sind Selbständige oder Angestellte mit flexiblem Arbeitsvertrag, die ihre Arbeitsleistung über das Internet erbringen und dadurch große räumliche und zeitliche Freiheiten haben. Die Tätigkeiten reichen dabei vom klassischen Freiberufler, über Berater und Autoren bis hin zu Online-Händlern.

Meine ganz persönliche Definition basiert eher auf gemeinsamen Werten. Für die digitalen Nomaden, die ich kenne, sind Autonomie und Selbstbestimmung extrem wichtig. Sie wollen ihr Geld mit sinnvollen Tätigkeiten verdienen. Für sie ist Arbeit kein Ort, an den sie gehen. Die Grenzen zwischen Work & Life verschwimmen. Warum sollte man auch 8 Stunden am Tag etwas tun, das nicht seinem eigenen Antrieb entspricht?

Wie es bei mir losging

Als ich mich 2012 selbständig machte, geschah das ohne Businessplan und ohne viel Bürokratie. Auf Jobbörsen habe ich mir Aufträge gesucht, angefangen zu übersetzen und wurde wenige Tage darauf bezahlt. Was für ein tolles Gefühl, auch wenn der Lohn bescheiden war.

Mit der Zeit habe ich mich auf eine spezielle Branche konzentriert. Schnell eignete ich mir eine Expertise an und wurde weiterempfohlen. Die Bezahlung steigerte sich genauso kontinuierlich wie die Kundenanfragen. Bald konnte ich Arbeit an andere Freelancer abgeben und Klienten gegenüber als Agentur auftreten.

Während eines Urlaubs auf den Philippinen nahm ich den Laptop mit. Nur für den Notfall, falls es ein Problem geben sollte. Meine digitale deutsche Festnetznummer wurde auf die philippinische Handynummer weitergeleitet. Kunden merkten also gar nicht, dass ich gerade am Strand saß. In diesem Urlaub wurde mir klar, dass ich tatsächlich von überall auf der Welt arbeiten kann. Was ich brauche, ist mein Laptop und eine gute Internetverbindung.

Heute verdiene ich mein Geld als Mitbetreiber der Online Community Citizen Circle sowie als Autor und Berater für angehende Selbständige über meine eigene Plattform Wireless Life. Mein Besitz passt in ein Handgepäck. Es gibt Phasen, in denen ich sehr viel unterwegs bin, aber auch solche, in denen ich mich nach Alltag sehne. Noch bin ich auf der Suche nach der richtigen Balance.

Der Kontakt zu Gleichgesinnten

Was mir während dieser ersten Zeit in China stark gefehlt hat, war der Kontakt mit Gleichgesinnten. Meine Freunde waren fast ausnahmslos angestellt. Mit ihnen konnte ich nicht in der Tiefe über meine Herausforderungen als Selbständiger sprechen.

Über Facebook Gruppen und Blogs fand ich 2013 andere Menschen, die ähnlich arbeiteten wie ich. Das im amerikanischen Raum bereits bekannte digitale Nomadentum schwappte so langsam nach Deutschland. Mit dem Start meiner eigenen Seite Wireless Life, auf der ich Erfahrungen zum ortsunabhängigen Arbeiten teilte, durfte ich diese Bewegung mitgestalten.

Seitdem haben wir uns mit Mitgliedern meiner Community während Meetups und Workations (Work + Vacation) kennengelernt und uns in Foren und Mastermind Gruppen ausgetauscht. Aus den anfänglichen Online-Bekanntschaften entstanden echte Freundschaften, die die Kollegen aus dem Büro heute ersetzen.

Der Stereotyp von Hängematte und Hungerlohn

Der Stereotyp des digitalen Nomaden, den viele Berichte zeichnen, gibt es einfach nicht. Sowohl vom Alter als auch von den persönlichen Hintergründen könnten die Menschen, die mit ihrem Laptop in Cafés und Coworking Space sitzen, unterschiedlicher nicht sein.

Es gibt die Familienväter, die gern aus dem Home Office arbeiten, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Auch gibt es die Reisejournalisten, die ständig unterwegs sind. Oder die Vorruheständler, die für das Alter eine sinnvolle Aufgabe suchen und im Winter auf den Kanaren wohnen. Letztendlich gibt es auch die Blogger und Freelancer, die sich mit einem Mindestlohn ihre Reisen finanzieren. Das Spektrum reicht von Serienunternehmer bis hin zum Hobbyblogger.

Der einfachste Einstieg in die digitale Selbständigkeit gelingt sicher als Dienstleister mit vorhandenen oder neu angeeigneten Kompetenzen, die zum Stunden- oder Paketpreis angeboten werden. Sobald der Prozess der Leistungserbringung erprobt ist, kann dieser Service standardisiert und an andere Freelancer ausgelagert werden.

Eine andere Möglichkeit ist der Verkauf von digitalen Produkten, in denen das eigene Wissen in verschiedenen Formaten wie Büchern, Video oder als Audio verkauft wird. Wichtig ist wie bei allen Geschäftsmodellen, dass das Angebot ein ganz konkretes Problem für eine ganz konkrete Zielgruppe löst.

Nicht nur digitale, sondern auch physische Produkte bieten sich für die ortsunabhängige Selbständigkeit an. Fulfillment-Dienstleistern wie Amazon übernehmen Lagerung, Versand und Kundenservice, so dass du dich auf die Produktentwicklung und das Marketing konzentrieren kannst.

Ein weiteres, wenig beachtetes Geschäftsmodell, ist die Vernetzung von anderen Menschen. In Communitys, durch Webverzeichnisse oder ganz klassisch über Vermittlungsprovisionen bringst du Anbieter und Nachfrager zusammen, die sich ansonsten nicht begegnen würden.

Möglichkeiten, um sich digital selbständig zu machen, gibt es also mehr als genug (hier ist eine gute Übersicht). Entscheidend ist viel eher die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und Risiken einzugehen. Wer dazu bereit ist, sollte ruhig mal einen Löffel digitales Nomadentum probieren.

Einen guten Einstieg bieten neben meiner Website Konferenzen wie die DNX, Podcasts und Facebook Gruppen. Schau dich dort mal um und entscheide dann, ob du mit den Menschen auf einer Wellenlänge bist.

Über Sebastian:

Sebastian Kühn von Wireless Life
Sebastian Kühn von Wireless Life

Seit 2012 lebt Sebastian ein Leben, das viele Menschen als ungewöhnlich bezeichnen. Ohne festen Wohnsitz ist er als digitaler Nomade dort unterwegs, wo Palmen auf gutes WiFi treffen. 2014 startete er mit Wireless Life einen der bekanntesten Blogs für ortsunabhängige Unternehmer. Heute verdient er seinen Lebensunterhalt als Autor, mit der Beratung von Aussteigern und als Veranstalter von Workshops und Konferenzen.

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